Die Abba-Nation Schweden schickt diesmal den 19-jährigen Tousin Chiza, der sich Tusse nennt, zum Eurovision Song Contest (ESC) nach Rotterdam.
Beim mit Abstand aufwendigsten aller ESC-Vorentscheide setzte sich der ehemalige Gewinner der Castingshow «Idol» am Samstagabend mit dem Song «Voices» in Stockholm gegen elf andere Kandidaten durch.
«Ich bin überwältigt», sagte Tusse, der als Achtjähriger nach drei Jahren auf der Flucht vor dem Krieg in Kongo-Kinshasa nach Schweden kam. «Es bedeutet mehr als Worte, dass das schwedische Volk uns gewählt hat, um es beim Eurovision zu vertreten.» Sein Song bekam die meisten Stimmen, die je an einen Kandidaten in einem schwedischen Finale vergeben wurden. Das Lied sei die Aufforderung, man selbst zu sein, und appelliere an Freiheit, Akzeptanz und Mitmenschlichkeit.
Der schwedische Vorentscheid – Melodifestivalen genannt – lief schon seit Wochen: In vier Vorrunden sowie einer Runde, in der Ausgeschiedene eine zweite Chance erhielten, sang sich Tusse seit Anfang Februar bis zum Finale vor.
Schweden ist eine feste Größe beim ESC. Die Abba-Nation hat den Musikwettbewerb bereits sechs Mal gewonnen, erstmals dank Abbas Klassiker «Waterloo» im Jahr 1974 in Brighton und letztmalig mit Måns Zelmerlöw und «Heroes» 2015 in Wien. Nur Irland hat den ESC noch einmal häufiger für sich entscheiden können.
Damit stehen nun fast alle Teilnehmer des Wettbewerbs fest. Mehrere Länder wie Österreich setzen auf ihre Teilnehmer, die sie schon beim ausgefallenen ESC 2020 ins Rennen schicken wollten – sie müssen nun aber mit neuen Songs antreten.
Deutschland wird in Rotterdam von Jendrik Sigwart und seinem Gute-Laune-Lied «I Don’t Feel Hate» repräsentiert. Der 26 Jahre alte Hamburger hatte sich in einem mehrstufigen Auswahlprozess gegen mehr als 150 Konkurrenten durchgesetzt. Die zuletzt größten deutschen Erfolge hatten Michael Schulte mit einem vierten Platz 2018 und Lena mit dem Sieg 2010 eingefahren.
Der ESC wird dieses Jahr zwischen dem 18. und 22. Mai in Rotterdam ausgetragen. Der Wettbewerb war im Vorjahr wegen der Corona-Pandemie erstmals in seiner Geschichte ausgefallen. Die Organisatoren hoffen nach wie vor darauf, mit zahlreichen Vorsichtsmaßnahmen zumindest einen Wettbewerb mit begrenztem Publikum vor Ort anbieten zu können.
Die entscheidende Frage, ob es eine Show mit Zuschauern sein wird, soll erst Mitte April entschieden werden. Die Vorbereitungen laufen dennoch bereits auf Hochtouren – nicht nur in Rotterdam. Im etwa 80 Kilometer entfernten Hilversum, dem TV-Zentrum des Landes, laufen die Beiträge der Länder ein, denn alle Teilnehmer müssen vorab für Corona-Notfälle ein Backup-Video einschicken. Wer infiziert ist, darf nämlich nicht auftreten. Dann wird das Video gezeigt.
«Der Wettbewerb muss auf jeden Fall stattfinden», sagt Twan van Nieuwenhuijzen, einer der ESC-Organisatoren. «Ich glaube, ganz Europa sehnt sich nach einer Unterhaltungsshow.» Er ist in diesen Wochen bei den Aufnahmen in jedem Teilnehmerland per Live-Verbindung dabei.
Denn für die Videos gelten Wettkampf-Regeln. Pro Land sind nur drei Versuche in einer Stunde erlaubt. Es dürfen nicht mehr als 24 TV-Kameras eingesetzt werden. Was im Mai in Rotterdam verboten ist, ist auch für die Videos verboten. «Man darf kein Wasser benutzen, kein Konfetti streuen, und man darf nicht fliegen», sagt Nieuwenhuijzen. Das Wichtigste aber: Auch im Video muss live gesungen werden, Playback ist tabu. Es werde viel Geld, Energie und Kreativität in die Backup-Videos gesteckt – trotzdem hoffe man, dass man diese am Ende nicht brauche, sagt der ESC-Organisator.
Wer den ESC 2021 gewinnt? Die Wettbüros rechnen derzeit Gjon’s Tears («Tout l’univers») aus der Schweiz, Bulgariens Teilnehmerin Victoria («Growing Up is Getting Old») sowie der isländischen Gruppe Dadi & Gagnamagnid («10 Years») die besten Chancen aus. Aber auch Schweden zählte vielerorts zum Favoritenkreis – bereits bevor feststand, wer das skandinavische Land eigentlich in Rotterdam vertritt.
Der ESC wäre nicht der ESC, wenn er nicht schon im Vorfeld den einen oder anderen Aufreger produzieren würde. Diesmal sorgt dafür Zyperns ESC-Beitrag «El Diablo» der Sängerin Elena Tsagrinou: Demonstranten protestierten zuletzt nach einem Aufruf von christlich-orthodoxen Organisationen gegen den eigentlich recht seichten Song, weil sie in ihm Satanismus und Teufelsanbetung erkennen.
Bereits wieder einkassiert wurde der musikalische Beitrag, mit dem das autoritär geführte Belarus ins Rennen gehen wollte. Der Song «Ja nauchu tebja» («Ich werde dir beibringen») der Band Galasy ZMesta stelle in seiner jetzigen Form «den nicht-politischen Charakter des Wettbewerbs infrage», hieß es vom ESC-Organisator, der Europäischen Rundfunkunion in Genf.
Zuvor hatte es Beschwerden gegeben, weil der Song mit Zeilen wie «Ich werde dir beibringen, nach der Melodie zu tanzen» in den Augen vieler Menschen die Protestbewegung gegen Langzeitmachthaber Alexander Lukaschenko verhöhnt.
Ganz andere Sorgen haben dagegen die Isländer: Wie der isländische Rundfunksender RÚV berichtete, ist der neue Song von Dadi & Gagnamagnid vorab online veröffentlicht worden, obwohl er offiziell erst am Samstag hätte präsentiert werden sollen. «Das ist klarer Diebstahl», wütete RÚV-Programmchef Skarphédinn Gudmundsson. Letztlich zeige das aber nur, wie groß die Erwartungen seien.