Sie bringen Ablenkung von der Krise vor der Haustür: Streamingdienste gehören zu den Gewinnern der Corona-Pandemie. «Es gab nie eine größere Nachfrage als jetzt», berichtet Branchenexpertin Lucy Smith im Interview der Deutschen Presse-Agentur.
«Das sieht man beispielsweise schon daran, dass die Abonnentenzahlen der Videoplattformen im Jahr 2020 regelrecht explodiert sind», sagt die Chefin der weltgrößten Fachmesse MIPTV in Cannes.
Die Fachwelt geht nach jüngsten Zahlen von weltweit mehr als 1,2 Milliarden Nutzerkonten aus. So hat es der New Yorker Marktforscher LightShed Research errechnet. Darin sind allein die großen Anbieter mit Sitz in den USA eingerechnet, etwa Netflix, Amazon und Disney+. Regionale Streamingportale etwa in Deutschland kommen oben drauf.
Bereits Mitte März hatte der amerikanische Produzentenverband Motion Picture Association aus Washington gejubelt, dass 2020 die Milliardenmarke bei den Abos global erstmals überschritten worden sei. Das bedeutet ein Wachstum um 26 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Bei der am Montag beginnenden wichtigsten Fernsehmesse der Welt, der MIPTV in Cannes, herrscht also Champagnerlaune. Die Geschäfte laufen besser denn je, auch wenn die MIPTV 2021 nur virtuell stattfindet.
Vor allem lokale Produktionen, die zugleich weltweit angeboten werden, boomen immer mehr. «Die Plattformen sind damit gestartet, aber die Fernsehsender und andere Markteilnehmer steigen ebenfalls mit ein», betont Smith. Vor allem europäische Serien und Filme seien gefragt, darunter deutsche, französische, spanische und schwedische Produktionen: «Mit Inhalten, von denen man früher nicht gedacht hatte, dass sie international erfolgreich sein könnten.»
So wird zur MIPTV zum ersten Mal die ZDF-Produktion «Der Hirte» vorgestellt. Die vierstündige Miniserie mit Tobias Moretti in der Hauptrolle spielt in Tirol und handelt von einem Winzer, der von seiner Mafia-Vergangenheit eingeholt wird. Für den weltweiten Vertrieb als «The Winemaker» ist die Münchener Beta Film zuständig. Dort rechnet man mit großem Interesse an dieser Art von «Event TV».
Überhaupt haben sich für Beta, einen der größten deutschen Programmvertriebe, die Geschäfte in den letzten Monaten «sehr gut» entwickelt, so Senior Vice President Oliver Bachert. Die gestiegene Nachfrage an europäischen Produktionen erklärt er so: «In den USA und Großbritannien wurden manche Serien wegen Corona verzögert, Staffeln gekürzt oder sogar nicht fortgesetzt, Sportübertragungen sind ausgefallen, da war die Aufmerksamkeit für europäische Produktionen noch größer.» Die Ausstrahlung der zehnten Staffel der amerikanischen Zombie-Serie «The Walking Dead» zum Beispiel brach im vergangenen Frühjahr einfach ab und wurde erst Monate später fortgesetzt.
Auch wenn die Pandemie zurzeit Produktionsbedingungen erschwert und für Einbußen bei den werbefinanzierten Sendern sorgt, machen sich die Produzenten keine Sorgen. Ufa-Chef Nico Hofmann geht davon aus, dass Sender sich genau überlegen müssten, wie sie sich gegenüber den großen US-Plattformen behaupten. Dafür benötigten sie attraktive Inhalte für ihre eigenen Onlineangebote: «Von einem Investmentstau bemerken wir nichts – uns geht es so gut wie noch nie.»
In Zeiten ohne Pandemie tummeln sich auf der weltgrößten TV-Messe der Welt MIPTV in Cannes im April um die 10 000 Verantwortliche von Sendern, Produktionsfirmen, Programmvertrieben, Internetplattformen und Medienkonzernen aus aller Welt. Der Marktplatz findet diesmal vom 12. bis 16. April nur digital statt und zeigt, was schon bald in Millionen Wohnzimmern über die Bildschirme flimmert.