Eigentlich sollte es dieses Jahr wieder eine (fast) normale Salzburger Festspielsaison werden, ein volles Programm mit 168 Aufführungen aus Oper, Schauspiel und Konzert an 46 Tagen in 17 Spielstätten. Doch immer noch hängt die Corona-Pandemie wie ein Damoklesschwert über dem weltgrößten Musik- und Theaterfestival (17. Juli bis 31. August).
Erst vor wenigen Tagen mussten das City of Birmingham Symphony Orchestra & Chorus die Teilnahme absagen. Unter Chefdirigentin Mirga Grazinyté-Tyla sollte das einst durch Simon Rattle weltbekannt gewordene Orchester Benjamin Brittens monumentales «War Requiem» aufführen. Die neuen Reiserestriktionen für Großbritannien vereitelten dies.
In alle Eile suchte die Festspielleitung Ersatz und zimmerte aus Mitgliedern des Gustav Mahler Jugendorchesters, des ORF Radio-Symphonieorchesters sowie dem Wiener Singverein einen neuen Klangkörper für Brittens Meisterwerk. Erstmals verfügen die Festspiele damit über ein eigenes Festivalorchester. Aus der Not geboren, vielleicht ein Modell für die Zukunft?
Auch der Hugo von Hofmannsthals Open-Air-Dauerbrenner «Jedermann» steht im Zeichen der nicht enden wollenden Epidemie. Unverhofft gibt es dieses Jahr eine Neuinszenierung des Stoffes vom «Sterben des reichen Mannes». Weil fast das gesamte Darstellerteam ausgetauscht wurde, entschied man sich kurzfristig gegen eine Wiederaufnahme der 2017 herausgekommenen, technisch aufwändigen und etwas prosaischen Produktion von Michael Sturminger. Der österreichische Regisseur bringt nun abermals eine komplette Neudeutung des Mysterienspiels auf den Salzburger Domplatz, mit dem Berliner Schauspielstar Lars Eidinger in der Titelrolle und der Salzburgerin Verena Altenberger als Buhlschaft.
In schwierigen Zeiten will Sturminger eine betont einfache Inszenierung realisieren: «Etwas roh, wenig glamourös und, wenn doch, wild-glamourös.» Ob die berühmten «Jedermann»-Rufe vom Anfang des Stückes wieder, wie vom Dichter vorgesehen, in die Bankettszene zurückverlegt werden, wollte Sturminger nicht verraten. Mit Mavie Hörbiger, Enkelin von Paul Hörbiger, soll erstmals eine Frau den Teufel spielen. Sturminger kann sich sogar vorstellen, dass in einigen Jahren eine Frau auch die Titelrolle übernehmen könnte. Und ein Transsexueller? «Wenn eine Regisseurin oder ein Regisseur eine Idee dazu hat, warum nicht?»
Weil auch die Salzburger Festspiele mit Einnahmeausfällen zu kämpfen haben, gibt es dieses Jahr neben Wiederaufnahmen und Übernahmen nur zwei Opern-Neuinszenierungen: Wolfgang Amadeus Mozarts «Don Giovanni» in der Regie des italienischen Bühnenkünstlers Romeo Castellucci sowie »Intolleranza 1960» von Luigi Nono, ein Schlüsselwerk der Nachkriegsmoderne. Anna Netrebko darf natürlich nicht fehlen: Sie singt die Titelrolle in Giacomo Puccinis Ohrwurm-Evergreen «Tosca», einer Übernahme von den Osterfestspielen Salzburg.
Weniger gerupft ist das Schauspielprogramm mit vier Neuproduktionen. Neben dem «Jedermann» gibt es unter anderem eine Shakespeare-Adaption unter dem Titel «Richard The Kid & The King» mit Lina Beckmann in der Hauptrolle sowie Friedrich Schillers Klassiker «Maria Stuart», in Szene gesetzt von Martin Kusej, dem Wiener Burgtheaterchef und früheren Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele.
Die großen Namen der Klassikwelt sind wie eh und je im Konzertprogramm zu finden, darunter der italienische Maestro Riccardo Muti, der während der Festspiele nicht nur seinen 80. Geburtstag feiert, sondern auch sein 50. Salzburger Bühnenjubiläum. Zu diesem Anlass spielt er mit den Wiener Philharmonikern Ludwig van Beethovens «Missa solemnis», eines der unbestrittenen Gipfelwerke sakraler Musik.