Der österreichische Künstler Hermann Nitsch (82) ist bekannt für Aktionen, in denen er Tiere ausweidet und Menschen mit Blut beschmiert. Jetzt arbeitet er an einem Ort, für den er eigentlich eine Art Gegenentwurf geschaffen hatte. In diesem Jahr untermalen seine Schüttbilder die Wagner-Oper «Walküre» bei den Bayreuther Festspielen. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur erzählt er, warum ihm eine andere Oper von Richard Wagner eigentlich näher gewesen wäre und was er gegen Regietheater hat.
Frage: Wie kam es dazu, dass Sie nun in Bayreuth gelandet sind?
Antwort: Eine Fülle von Zufällen hat sich getroffen: Die «Walküre» sollte konzertant aufgeführt werden und da hat man mich eingeladen, eine Malaktion aufzuführen. Ich wollte überhaupt keine Inszenierungen mehr machen und mich nur auf meine Arbeit konzentrieren, aber dieser Zufall hat mich überredet.
Frage: Warum wollten Sie keine Inszenierungen mehr machen?
Antwort: Weil ich meine Kraft für meine eigene Arbeit brauche. Die ist mir wichtiger.
Frage: Wie sind Sie denn an die «Walküre» gekommen? Man könnte meinen, der «Parsifal» sei Ihnen eigentlich näher..
Antwort: Völlig richtig. Viele Symbole aus dem «Parsifal» sind auch in meiner Arbeit sehr wesentlich und ich wollte ihn immer schon inszenieren, aber da wurden mir dann andere Regisseure vorgezogen. In Wien sollte ich ihn inszenieren, aber da kam dann ein Regierungswechsel dazwischen…
Frage: Wie ist denn Ihr Zugang zur «Walküre»?
Antwort: Ich sehe die «Walküre» nicht als Einzelwerk. Sie ist Teil des «Ringes», und die ganzen Symbole, die im Ring auftauchen, werden auch in der «Walküre» zelebriert. Ich mache meine Sache, meine Malaktionen, und versuche, damit auf diesen «Ring» einzugehen. Ich habe gar nicht gewusst, wie sehr meine Malaktion in die Klänge des «Ringes» hineinpasst.
Frage: Sie haben eine bunte «Walküre» angekündigt – in allen Regenbogenfarben. Bleibt es dabei?
Antwort: Ich mag das Wort bunt nicht. Bunt ist Karneval. Ich bevorzuge glühende Farben, die der Partitur der «Walküre» entsprechen. Ich will einen Farbrausch bewirken.
Frage: Das Publikum in Bayreuth gilt ja – zumindest in Teilen – als ziemlich konservativ. Macht Ihnen das Sorge?
Antwort: Gar nicht. Ich versuche, eine gute Arbeit zu machen. Kategorien wie konservativ und modern gibt es für mich nicht. Für mich gibt es nur gute Arbeit und intensive Kunst.
Frage: Sie waren ja schon oft in Bayreuth – haben Sie das beides dort gefunden: gute Arbeit und intensive Kunst?
Antwort: Bei Wagner immer, bei den Inszenierungen nicht. Wer meine Arbeit kennt, weiß, dass ich für Happenings und Performance-Kunst stehe, aber ich bin trotzdem ein Gegner des Regietheaters. Ich bin dagegen, dass man fertige Arbeiten ummodelliert und verhunzt mit eigenen Ideen.
Frage: Ihr Orgien-Mysterien-Theater galt immer als so etwas wie ein Gegenentwurf zu den Bayreuther Festspielen. Wie passt es zusammen, dass Sie nun selbst auf dem Grünen Hügel arbeiten?
Antwort: Das ist kein Gegenentwurf, sondern ein Parallelentwurf, und von einem Konkurrenzkampf kann überhaupt nicht die Rede sein. Es geht um Intensität und große Kunst. Aber das ist eine einmalige Sache und ich will danach nur noch meine eigene Arbeit verwirklichen. Nächstes Jahr soll mein Sechs-Tage-Spiel inszeniert werden.
Frage: Zeitgleich mit Bayreuth?
Antwort: Das ist gut möglich. Meine großen Aktionen sind immer Ende Juli, Anfang August.
ZUR PERSON: Der 1938 in Wien geborene Hermann Nitsch polarisiert seit Jahrzehnten als Aktionskünstler, Maler und Bildhauer. Für seine extremen Rituale wird er leidenschaftlich abgelehnt oder verehrt. Bekannt ist er für sein «Orgien-Mysterien-Theater». Den bisherigen Höhepunkt seines Schaffens bildete das «Sechs-Tage-Spiel» auf seinem Schloss bei Wien. Nitsch feierte eine sechstägige Orgie mit Musik, 13 000 Litern Wein, der Schlachtung von drei Stieren, Hunderten Litern Blut, kiloweise zerquetschten Trauben und Tomaten und ausgeweideten Tierkadavern.