Seit Wochen schwelt ein Konflikt zwischen der Stadt Görlitz und einer Künstlerin um eine Installation im öffentlichen Raum. Es geht um die Arbeit «Kulisse» innerhalb der «Görlitzer Art».
Das Kunstwerk unweit der Neiße, in Sichtweite des polnischen Zgorzelec, greift die Debatte um Abtreibung im Nachbarland auf. Das widerspreche dem von der Jury ausgewählten Konzept, heißt es aus dem Rathaus. Lisa Maria Baier, Alumni-Meisterschülerin der Hochschule für bildende Künste Dresden, wehrt sich gegen die Kündigung des Vertrages und den drohenden Abbau – auch juristisch.
«Kulisse» ist ein aufwärtsgestuftes Holzpodium mit fünf Kinosesseln. Wo im Filmtheater die Leinwand wäre, hängt ein Banner, auf dem «aborcja bez granic» (Abtreibung ohne Grenzen) steht. Baier reflektiert damit die Verschärfung des Abtreibungsverbots in Polen, ein heikles Thema. «Ich will, dass die Menschen diskutieren, das ist doch der Sinn von Kunst im öffentlichen Raum.»
Die Stadt wirft ihr vor, ohne Absprache statt einer Arbeit zum Thema Filmstadt Görlitz ein Kunstwerk installiert zu haben, das polnische Regierungspolitik kritisiert. Man sei «natürlich nicht der Auffassung, dass Kunst nicht politisch sein darf», betonte eine Stadtsprecherin. Zur Debatte stehe nicht die «vollkommen unbenommene Freiheit der Kunst», es gehe um den geschlossenen Vertrag. Gemessen daran stimme das realisierte nicht mit dem prämierten Werk überein.
Die Arbeit sei an den sehr politisch aufgeladenen Platz an der Grenze mit Blick auf Zgorzelec angepasst, sagte Baier. «Das macht für mich Kunst im öffentlichen Raum auch aus.» Die Stadt wirft ihr Vertragsbruch vor, das Werk sei «grundlegend anders» ausgerichtet und zudem die künstlerische Qualität nicht mehr gegeben. Ging es im Wettbewerbsbeitrag um die Frage «Görlitz als Filmstadt, betrachten und betrachtet werden», gehe es nun um Frauenrechte und Abtreibung in Polen. Damit handele es sich um eine «neue Arbeit» – und die wäre in ästhetischer Bewertung nicht ausgewählt worden.
Sie habe bei «Kulisse» nicht an «Grand Budapest Hotel» und andere in Görlitz gedrehte Filme gedacht, sagte Baier. «Bei Jedem, der hier lebt und über die Grenze schaut, müsste sich der immer gleiche Film abspielen: dass dort Frauenrechte beschnitten werden und niemand etwas tut.» Ihre Arbeit soll zur Diskussion anregen. An dem Bauzaun, der die Fläche an der maroden Stadthalle ab- und damit auch den Zugang zu ihrem Kunstwerk versperrt, hat die 32-Jährige Dinge wie ein Top mit dem Wort «Grundrechte» gehängt, «zum Gucken, zum Fragenstellen», sie hat Blätter ausgelegt für Kommentare, «damit arbeite ich».
Die performative Nutzung entspricht Baiers Credo: «Ausgangspunkt von partizipativen Praxen kann die Absicht sein, Kontakt herzustellen». Sie ist Konzeptkünstlerin und Geschlechtergerechtigkeit und Frauenrechte sind in ihrem Werk präsent. «Man hätte es an meinem Portfolio ablesen können», sagte die 32-Jährige, die Frauen regelmäßig zum Weltfrauentag auffordert, ihr Schreivideos zu schicken. Die projiziert sie dann an Hauswände, als Statement gegen die Reduzierung von Frauen auf soziale Kompetenzen.
Schon ihre Skizze für Görlitz beinhaltete als «Platzhalter» eine Art Banner mit einem Wort in Deutsch, Polnisch, Englisch. «Das Richtungsweisende nach Polen war angelegt», sagte Baier. Das Verwaltungsgericht Dresden gab der Stadt Ende Juli Recht. Baier habe sich mit Vertragsschluss dessen Bedingungen unterworfen und der alte Grundsatz, dass Verträge einzuhalten sind, gelte auch für Konzeptkünstlerinnen. Das Grundrecht der Kunstfreiheit steht nach Auffassung der Richter der Entfernung des Kunstwerks entgegen.
Laut Baier wurden keine inhaltlichen Vorgaben zur Umsetzung gemacht, sie hat Beschwerde eingelegt. Kunstfreiheit und die vertraglich garantierte Freiheit wurden «überhaupt nicht beachtet». Nun ist das Sächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) gefragt, eine Entscheidung steht aus. Der «Stein des Anstoßes» bleibt vorerst stehen, und Baier hofft, auch bis Ende Juli 2022. «Ich habe auf alles, was anti ist, verzichtet», sagte sie. «Es ist ein Denkanstoß.»