Was haben die ersten Tage im Missbrauchsprozess gegen R. Kelly gebracht?
Der Fall des einstigen Pop-Superstars ist – nach Fällen wie denen von Filmproduzent Harvey Weinstein, Schauspieler Kevin Spacey und Komiker Bill Cosby – die nächste viel beachtete juristische Aufarbeitung im Zuge der #Me-Too-Ära. Und schon jetzt eine besonders eindrückliche, weil so umfangreiche Vorwürfe verhandelt werden.
Einst hörte man ihn ständig im Radio, auch in Deutschland. Doch seit mehr als zwei Jahrzehnten gibt es Missbrauchsvorwürfe und viele weitere offene Fragen zum Leben des heute 54-Jährigen Sängers von Hits wie «The World’s Greatest» und «I Believe I Can Fly». Hat er einen Beamten bestochen, um 1994 die damals erst 15-jährige Sängerin Aaliyah mittels gefälschter Geburtsdokumente heiraten zu können? Hatte er wirklich mehrfach Sex mit anderen Minderjährigen? Filmte er sie während des Geschlechtsverkehrs und danach in demütigenden Situationen, um sie mit kompromittierenden Aufnahmen unter Druck setzen zu können?
«Dieser Fall handelt von einem Raubtier», waren laut übereinstimmenden Medienberichten die einleitenden Worte von Staatsanwältin Maria Cruz Melendez zum Prozessauftakt. Er sei «ein Mann, der über Jahrzehnte hinweg seinen Ruhm, seine Popularität und sein Netzwerk von Menschen, über die er verfügen konnte, dazu genutzt hat, Mädchen, Jungs und junge Frauen für seine eigene sexuelle Befriedigung herauszusuchen, zurechtzumachen und auszubeuten. Dieser Mann, dieses Raubtier, ist der Angeklagte, Robert Silvester Kelly – bekannter als R. Kelly.»
Erste Zeugenaussagen vor Gericht
Die Vorwürfe, die Melendez am Mittwoch ausführte, sind umfangreich, unter anderem geht es um die sexuelle Ausbeutung Minderjähriger, Kidnapping und Bestechung. Kelly soll seine mutmaßlichen Opfer mit viel Finesse gefunden haben, ausdrücklich konzentriert auf Minderjährige und mit psychologischer Manipulation. Essen und Toilettengänge seiner Opfer seien nur mit Genehmigung möglich gewesen.
Auch eine erste wichtige Zeugin wählte deutliche Worte. «Ich bin zu Robs Haus gegangen und Rob nannte mich eine dumme Schlampe», las die heute 28 Jahre alte Frau am Donnerstag laut US-Journalistinnen, die am Gericht den Fall verfolgten, aus ihrem Tagebuch vor. «Rob hat mich drei Mal geschlagen. Er sagte, wenn ich ihn noch einmal anlüge, wird der nächste Schlag nicht mehr mit der flachen Hand sein. Er hat mir ins Gesicht gespuckt und in meinen Mund und mich während eines Streits gewürgt», habe die Frau weiter aus ihrem Tagebucheintrag zitiert. Sie hatte ihren Angaben zufolge im Jahr 2009 für ein halbes Jahr eine Beziehung mit dem Musiker. Sie sei erst 14 Jahre alt gewesen, als sie ihn kennenlernt habe und 16 Jahre alt, als sie zum ersten Mal Sex gehabt hätten.
Es ist bemerkenswert, dass es nun überhaupt zu diesem Prozess gekommen ist. Denn jahrzehntelang konnte sich Kelly einer juristischen Aufarbeitung entziehen. 2008 musste er sich bisher zum einzigen Mal vor Gericht verantworten, damals wurde er wegen des mutmaßlichen Besitzes von Bildern schweren sexuellen Kindesmissbrauchs freigesprochen. Anfang 2019 sorgte dann die TV-Dokumentation «Surviving R. Kelly» (etwa: R. Kelly überleben) für viel öffentliches Aufsehen, der Fall wurde noch einmal vorangetrieben. Im Juli 2019 wurde R. Kelly schließlich festgenommen.
Wochenlanger Prozess erwartet
Laut Prozessbeobachtern soll Kelly vor Gericht bisher ruhig und oft ausdruckslos das Geschehen verfolgt haben. Ohnehin hat er in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder die Vorwürfe gegen ihn zurückgewiesen und als gezielten Rufmord bezeichnet. Seine Verteidigung versucht, die mutmaßlichen Opfer als unzuverlässig zu brandmarken – es seien enttäuschte Fans, die sich zu Stalkerinnen entwickelt hätten. Auch bei der Zeugin von Mittwoch und Donnerstag sollte der Eindruck einer dreisten Lügnerin entstehen. Sie habe dem Musiker gegenüber ihr Alter mit 19 Jahren angegeben – und erst später zugegeben, minderjährig zu sein, gibt die «New York Daily News» Argumente der Verteidigung wieder.
Der Prozess könnte Wochen dauern, die Rede ist von bis zu 3500 Beweisstücken. Bei einer Verurteilung in allen Punkten droht dem Sänger laut Sprecher der Staatsanwaltschaft eine Haftstrafe von zehn Jahren bis lebenslang. Im New Yorker Stadtteil Brooklyn läuft aber ohnehin nur der erste Prozess auf Bundesebene gegen ihn. Selbst wenn er freigesprochen würde, wird Kelly sich in einem ähnlichen Verfahren in Illinois verantworten müssen.