Cover der Bücher, die auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2021 stehen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: --/vntr.media/dpa)

Der Proporz mag Zufall sein, aber er passt ins Bild: Drei Männer und drei Frauen stehen auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2021.

In die Endauswahl kamen der vielfach ausgezeichnete Norbert Gstrein, der als Popautor bekannt gewordene Christian Kracht und der literarische Außenseiter Thomas Kunst. Daneben stehen drei höchst unterschiedliche Frauen: Mithu Sanyal, Monika Helfer und Antje Rávik Strubel, deren Romane sich mit Identität, Herkunft und Weiblichkeit beschäftigen.

Mithu Sanyals «Identitti» (Carl Hanser) ist vielleicht das Buch der Stunde. Die Autorin wurde 1971 als Tochter einer polnischen Mutter und eines indischen Vaters in Deutschland geboren. Bekannt wurde sie mit dem Sachbuch «Vulva» und Texten über Sexismus und Vergewaltigung, «Identitti» ist ihr erster Roman. Darin bastelt sich eine weiße Professorin für Postkolonialismus eine exotische Biografie zurecht, um mehr «of color» zu sein. Die Jury ist begeistert: «Ein enorm vergnüglicher, hochenergetischer Diskursroman, bei dessen Lektüre viel zu lernen ist und der dabei grandios unterhält.»

Der bekannteste Name auf der Shortlist ist wohl Christian Kracht. Sein Pubertäts-Roman «Faserland» wurde nach 1995 zum Klassiker der Popliteratur. Im Longlist-Reader wird der 1966 geborene Schweizer als «überaus mediengewandter Autor» beschrieben. «Eurotrash» (Kiepenheuer & Witsch) heißt sein neues Werk: laut Jury «das seltene Kunststück, eine komplexe literarische Poetik in stilistischer Virtuosität zum Leuchten zu bringen». Es geht um familiäre Schattenwelten, eine Mutter-Sohn-Beziehung und neureiche Herkunft.

Versagende Eltern und gefährdete Kinder sind das zentrale Thema von Monika Helfer. Mit «Die Bagage» begann die 1947 in Österreich geborene Autorin ein autobiografisches Erzählprojekt, das sie nun mit «Vati» (Carl Hanser) fortsetzt. Die Vaterfigur des Romans ist beschädigt aus dem Krieg zurückgekommen, der Mann beschädigt mit seinem Schweigen seine Familie. «Ein Buch von zärtlicher Traurigkeit – in dem Gefühl und sprachliche Klarheit vollständig ausgewogen sind», findet die Jury.

Norbert Gstrein ist mit rund einem Dutzend Romanen der produktivste und am meisten geehrte Autor auf der Liste. «Der zweite Jakob» (Carl Hanser) handelt von einem zwielichtigen Schauspieler, der gern Mörder spielt und auch im realen Leben manche Leiche im Keller hat. Der 1961 geborene Österreicher Gstrein hat als Mathematiker begonnen – Kritiker bescheinigen auch seinem literarischen Stil eine mathematische Präzision. Sein jüngstes Buch habe «seine virtuose Erzählkunst noch einmal auf eine höhere Stufe gehoben», findet die Jury.

«Wenn ich das Wort Plot schon höre, könnte ich speien», wird Thomas Kunst im Longlist-Reader zitiert, seine Texte seien «keineswegs marktgeschmeidig», heißt es dort über den 1965 geborenen Autor. Die Jury fand «Zandschower Klinken» (Suhrkamp) dennoch preiswürdig: «Dieses Buch lässt einen freier atmen», auch durch seine formale Radikalität. Radikal sind auch die Bewohner des erfundenen Provinzdorfs, die der feindlichen Realität mit absurden Ritualen trotzen, ihr Nest zu Sansibar, ihren Teich zum Ozean umdeuten.

Antje Rávik Strubel, Jahrgang 1974, erzählt in «Blaue Frau» (S. Fischer) von den Gewalterfahrungen einer jungen Frau. Adinas Weg führt von Tschechien über Berlin in die Uckermark. Nach einer Vergewaltigung flieht sie nach Helsinki und ins innere Exil. «Ein Ost-West Roman, ein Europaroman, eine Geschichte über Machtmissbrauch», fasst die Jury zusammen. Die Handlungsstränge seien meisterhaft verflochten, die Darstellung atmosphärisch dicht.

Die sechs Finalisten zeigten «den stilistischen, formalen und thematischen Reichtum der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur», sagt Jurysprecher Knut Cordsen. Sie zeugten «von der immensen Lust und hohen Könnerschaft, Geschichten zu erzählen». Themen und Stil mögen unterschiedlich sein – aber jedes Buch sei «auf je eigene Weise ausgezeichnet». Eine Gemeinsamkeit sehen die sieben Juroren dennoch: Alle Romane reflektierten das eigene Schreiben, «loten seine Möglichkeiten und seine Grenzen aus», wie Cordsen sagte.

Die Jury hatte in diesem Jahr 230 Titel gesichtet. Ende August hatte die siebenköpfige Jury die 20 Titel der Longlist bekanntgegeben. Inzwischen ausgeschieden sind unter anderem Franz-Arthur Goldschmidt, Heinz Strunk, Franzobel und Sasha Marianna Salzmann. Welches Buch am Ende als bester Roman des Jahres 2021 ausgezeichnet wird, steht in vier Wochen fest: Die Ehrung wird am Vorabend der Frankfurter Buchmesse überreicht – in diesem Jahr am 18. Oktober. Der Preisträger oder die Preisträgerin erhält 25 000 Euro, die übrigen fünf Autorinnen und Autoren der Shortlist jeweils 2500 Euro.

Von Sandra Trauner, dpa